Die Bilder von ukrainischen Landwirten, mit Helm und kugelsicherer Weste am Traktor sitzend, gingen um die Welt. Unter Lebensgefahr gelang es ihnen, auf dem Großteil der ausgedehnten Felder der Ukraine, Bodenbearbeitung und Frühjahrsaussaat durchzuführen. Trotzdem ist laut der Ukrainian Grain Association (UGA) die Fläche von Sommergetreide, Mais und Leguminosen um 39% zurückgegangen. Da auch bei Wintergetreide aufgrund der Kriegshandlungen notwendige Pflanzenschutzmaßnahmen und Düngergaben nicht zeitgerecht durchgeführt werden konnten, wird mit einem Rückgang der ukrainischen Getreideernte um 51% gegenüber dem Vorjahr gerechnet.
Nicht nur die fehlenden Erntemengen sind ein Problem. Trotz Rekordpreisen und weltweiter Nachfrage bekommt die Ukraine ihre Lager nicht geleert. Vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine erfolgten 90% der Getreideexporte über den Seeweg. Die Häfen am Schwarzen Meer und am Asowschen Meer sind nun entweder von Russland besetzt, durch Beschuss zerstört oder vermint. Alternative Häfen im Ausland wie etwa Constanta in Rumänien sind heillos überlastet. Somit bleibt nur der Landweg Richtung Westen oder der Transport mit Binnenschiffen von verschiedenen Donauhäfen. 20 Millionen Tonnen Getreide der vorigen Ernte liegen noch in der Ukraine auf Lager. In weniger als zwei Monaten beginnt bereits die neue Ernte, für die dieser Lagerplatz dringend benötigt wird. Die Einnahmen aus den Verkäufen fehlen - ukrainische Landwirte sind darauf angewiesen, um ihre laufenden Kosten zu bezahlen. Daher hat die EU die sogenannten „Solidarity Lanes“ gestartet. Über diese „Solidaritätskorridore“ soll in einem internationalen Kraftakt möglichst viel Getreide aus der Ukraine herausgeholt werden. Dazu werden zusätzliche Güterwaggons beschafft, Umschlagterminals ausgebaut und Zollabwicklungen erleichtert. Die Kapazitäten der Infrastruktur sind jedoch begrenzt. Im März konnten rund 300.000 Tonnen Getreide per Bahn exportiert werden, während allein über die Seehäfen vor dem Krieg fünf Millionen Tonnen pro Monat abgefertigt wurden.
Diese Anstrengungen sind von globaler Bedeutung. Aufgrund der Lieferausfälle aus der Ukraine und auch aus Russland droht vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika eine humanitäre Katastrophe. Wie drastisch die Folgen sein werden, hängt von der Dauer des Krieges ab. Russland und die Ukraine produzieren gemeinsam ein Fünftel der globalen Weizenmenge und gehören zu den wichtigsten Exporteuren. Betrachtet man die Länder, in die diese Lieferungen gehen, werden die möglichen Folgen der Lieferausfälle klar: Die größten Abnehmer sind Ägypten, Türkei, Bangladesch, Indonesien, Pakistan und Jemen.
Was bedeutet das für Österreich?
In Österreich ist die Abhängigkeit von Agrargütern aus der Ukraine gering. Sowohl die Versorgung mit Lebensmitteln als auch mit Futtermitteln ist gesichert. Der Wegfall von GVO-freiem Soja aus der Ukraine stellt die Geflügel- und Schweinebranche vor Herausforderungen, derzeit stehen aber ausreichende Mengen zur Verfügung.
Die Preise für Agrargüter erreichen seit Ausbruch des Krieges bisher nicht gekannte Höhen. Die Weizenpreise etwa sind auf einem Allzeithoch. Das ist für österreichische Landwirte nur auf den ersten Blick erfreulich. Ein Großteil dieser Preissteigerungen wird durch die erhöhten Kosten für Betriebsmittel wie Futtermitteln, Düngemitteln und Energie aufgefressen. Zwar gehen die Düngernotierungen seit einigen Wochen leicht zurück, trotzdem ist die finanzielle Situation vieler Betriebe angespannt.
Die massiven Preissteigerungen kommen auch bei der Bevölkerung an. Die Teuerung bei Lebensmitteln lag im April bei 8,2%. Für die heimische Landwirtschaft ist dieser Preisanstieg überlebensnotwendig. Um die Selbstversorgung in Österreich langfristig abzusichern, müssen
Bäuerinnen und Bauern ein Einkommen erzielen, das es ihnen erlaubt, ihre Kosten zu decken und einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften. Möglichst unabhängig von Importen zu werden, das wird in nächster Zeit das wichtigste Ziel unserer Landwirtschaft sein. Denn so lange in der Ukraine kein Frieden herrscht, werden auch die globalen Agrarmärkte nicht zur Ruhe kommen.
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