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„Die agrarische Jugend sieht ihr Seelenheil nicht im Wachsen, sondern in der Qualität“

„Landeier“ ticken ganz anders als Jugendliche aus der Stadt, so ist die landläufige Meinung. Aber stimmt das überhaupt noch? In einer Jugendstudie mit 14.400 befragten 14- bis 16-jährigen Österreichern wurden einige gängige Thesen großteils widerlegt. Dazu ein Gespräch mit Hochschulprofessor Leopold Kirner, einem Co-Autor der Studie, über Werte, Ängste und Vorlieben der Jugend.


Die neue Studie der Pädagogischen Hochschulen Österreichs informiert über Lebensziele, Einstellungen und Lebensbedingungen junger Menschen im Alter von 14 bis 16 Jahren. Genau 14.432 Jugendliche aller Schultypen aus ganz Österreich haben von März bis Juni 2020 Auskunft über sich und ihre Meinungen zu gesellschaftsrelevanten Themen gegeben.



Was wollten Sie mit der Studie herausfinden? Kirner: Wir haben analysiert, ob es einerseits Unterschiede zwischen den Schultypen und andererseits zwischen Jugendlichen vom Land und aus der Stadt gibt. Ziel der Studie war, die Einstellungen der Jugendlichen zu Landwirtschaft, Ernährung oder Umwelt herauszufinden. Von den mehr als 14.400 Befragten kamen etwa 4.100 aus dem agrarischen Schulwesen, also aus Fachschulen und höheren Land- und Forstwirtschaftsschulen. Auch potenzielle Hofübernehmer nahmen teil.


Was sind die zentralen Ergebnisse? Erstaunlich ist, dass die Jugend vom Land ziemlich ähnlich tickt wie die aus der Stadt. Es gab zwischen den Schulformen wenige Unterschiede. Zum Teil große Unterschiede gab es hingegen zwischen Burschen und Mädchen.


Was ist der Jugend wichtig, und was beeinflusst sie? Der sichere Arbeitsplatz oder sich in der Partnerschaft auf den jeweils anderen verlassen zu können, sind für junge Menschen sehr wichtige Werte. Die Jugend hat ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit und pflegt traditionelle Werte, obwohl sie gleichzeitig einen großen Freiheitswunsch hat. Und sie hat ein starkes Bedürfnis nach sozialen Netzen, die häufig in der virtuellen Welt gepflegt werden. Egal ob in einer landwirtschaftlichen, in einer polytechnischen Schule oder an einer HBLA. Es gibt also keinen nennenswerten Einfluss des Schulsystems auf die Jugend.


„Sich für andere einsetzen“ ist offenbar nicht mehr im Trend? Den von uns Befragten war der angesprochene Punkt weniger wichtig. Das könnte sich zum Beispiel später einmal im Pflegebereich oder auf das Vereinswesen auswirken. Die von der Jugend gewünschte Individualisierung ist definitiv eine Herausforderung für das Ehrenamt. Aber ich sehe da nicht gleich schwarz, weil die Befragten zwischen 14 und 16 Jahren alt waren. In diesem Alter sind solche Einstellungen weniger cool.


Städter sind also gar nicht so anders als die Landeier? Jugendliche ticken grundsätzlich sehr ähnlich. Nur beim Freizeitverhalten und der Einstellung zur interkulturellen Integration gibt es Unterschiede. Dem Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Kulturen stehen Jugendliche vom Land deutlich kritischer gegenüber. Innerhalb der landwirtschaftlichen Schulen zeigten sich große Unterschiede bei Einstellungen und Werten nach Geschlecht und auch nach der Absicht zur Hofübernahme.


Was haben Jugendliche für Hobbys? Mädchen hören häufiger Musik, shoppen öfters und pflegen gerne soziale Kontakte über Soziale Medien. Burschen hingegen bevorzugen Computerspiele und sind eher in Vereinen tätig als Mädchen. Jugendliche mit Hof beschäftigen sich lieber mit Tieren und der Natur als mit dem Internet. Ansonsten sind die Unterschiede bei den soziodemografischen Angaben minimal.


Gibt es fixe Pläne für die Zukunft? Jeder Dritte glaubt fest an die Erreichung der eigenen Ziele. Bei den Buben sind es deutlich mehr, die positiv in die Zukunft blicken. Auch die Hofübernehmer sind bei dieser Frage positiver eingestellt als Schüler ohne Absicht zur Hofübernahme. Besonders spannend war, dass in der gesamten Jugendstudie junge Türkinnen die bildungs- und aufstiegshungrigste Gruppe waren.


Wovor haben Jugendliche Angst? Die Umweltverschmutzung und die Folgen des Klimawandels beängstigen die Jugend am meisten. Egal ob Burschen oder Mädchen. Angst haben sie außerdem vorm Zerbrechen der Familie. Ein Beispiel: In einer Klasse mit 20 Schülern hatten acht Angst vor der Trennung der eigenen Eltern. Das ist sehr viel. An vierter Stelle ist die Angst vor dem Krieg. Mädchen haben grundsätzlich größere Zukunftsängste als Burschen, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass Burschen weniger über Ängste sprechen als Mädchen. Trotz des Bewusstseins für die großen Herausforderungen unserer Zeit können sich Jugendliche ihr Leben selbst finden. Dabei entsteht viel Unsicherheit und gleichzeitig ein großes Sicherheitsbedürfnis. Das ist der Grund, warum unsere Jugend traditionelle Werte lebt.


Was hat Sie bei den Ergebnissen überrascht? Es gibt erstens kaum Unterschiede zwischen Stadt und Land. Zweitens könnten Soziale Medien in der Informationsbeschaffung eine große Rolle spielen, und drittens sind junge Frauen die Trendsetter. Sie haben eine bewusstere Lebensführung, sozialere Orientierung und ökologischere Einstellung als die Burschen. Auch sehr eindeutig ist, dass Umweltzerstörung und Klimawandel die Top Themen sind, egal ob am Land oder in der Stadt.


Wie will die Jugend vom Land künftig ihre Betriebe ausrichten? Egal ob jung oder alt setzt sich folgender Zugang durch: Nicht im Wachsen, sondern in der Qualität sehen Jugendliche ihre Zukunft. Für die junge Generation steht Qualität klar vor Masse. Junge Burschen und Mädchen wollen auf mehr Qualität und mehr Innovation setzen. Sie wollen Spezialisieren und Intensivieren. Meiner Meinung nach haben sie die Hoffnung auf einen besseren Preis für das Produkt und auf eine gewisse Unabhängigkeit von volatilen, globalen Märkten.


Früher hieß es oft: „Einen Bauernsohn kann man immer als Lehrling nehmen.“ Ist das heute auch noch so? Diese Aussage wird durch die Studie sicher bestätigt: Denn Fleiß und Ehrgeiz sind Schülern aus landwirtschaftlichen Schulen doppelt so wichtig wie Schülern aus anderen Schulen. Das zeigt, dass Jugendliche aus landwirtschaftlichen Schulen und vor allem Hofübernehmer leistungsorientierter sind.


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